Billigfriseur hart verurteilt
Billigfriseur hart verurteilt
Unlauterer Wettbewerb und Verstoß gegen das  Allgemeinwohl
Der Reichsehrengerichtshof des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages zeigte bei der Berufungsverhandlung gegen ein Urteil der Handwerkskammer in Harburg ein besonderes Bild. Der Sitzungssaal war für besonders zahlreichen Zuspruch von Pressevertretern wie auch sonstigen Zuhörern eingerichtet. Trotzdem reichten die Plätze kaum aus. Die Anwesenheit zahlreicher hoher Gerichtsbeamter bewies, das der anberaumten Verhandlung eine besondere Bedeutung beigemessen wurde.
Im vorgenannten Prozess ging es um
• Verstöße gegen Standesehre  und Gemeingeist (Allgemeinwohl)
• Unlauteres Verhalten
• Unlauterer  Wettbewerb und Übervorteilung der Kunden.
Der Angeklagte hat durch billige, aber schlechte Leistung die Kundschaft an  sich gerissen.
Er geht dabei planmäßig, rücksichtslos und eigennützig vor. Er  ist sich vollständig klar darüber, dass zahlreiche kleine Berufsgenossen, die  seine unlauteren Geschäftsmethoden nicht mitmachen, in ihrer Existenz schwer  bedroht sind. Die langsame Zerstörung der kleinen selbständigen Existenzen ist  sein kaum verhehltes Geschäftsziel. Ein solcher Wettbewerb verstößt gegen die  guten Sitten.
Anmerkung: 
 Dieser Bericht entstammt der Fachzeitung „Der deutsche Friseur“ aus  dem Jahre 1935. (Ausgabe 9 / Mai 1935)
Textpassagen die eine Verwechslung zu  Tatsachen in der heutigen Zeit führen könnten, sind rein zufällig – aber absolut  lesenswert.
Die Probleme im Friseurhandwerk waren 1935 ähnlicher Natur wie  heute – der Umgang damit jedoch ein vollkommen anderer!
Der Originalbericht  umfasst vier DIN A4 Seiten in Kleinstschrift, hier eine gekürzte Fassung mit den  wichtigsten Passagen.
In der Hauptverhandlung im Februar 1935 wurde angeklagter Betriebsinhaber wegen Verletzung der Standesehre und Verstoßes gegen den Gemeingeist zu einer Ordnungsstrafe von 500 RM. verurteilt. Er legte dagegen Berufung ein, die nun, am 11. April 1935 stattfand.
Der Vorwurf
Der Beschuldigte, gegen den hier zunächst von  der Handwerkskammer Harburg-Wilhelmsburg vorgegangen war, ist nicht gelernter  Friseur. Er hat das Bürofach erlernt und ist später als Vertreter tätig gewesen.  Hierbei bekam er Fühlung mit dem Friseurhandwerk. Im Februar 1927 übernahm er  ein Friseurgeschäft, wozu zunächst seine Frau die Firma lieferte.
Erst später ging das Geschäft auf den Namen des Angeklagten selbst über. Aus den gleichen Gründen, die hier zur Berufungsverhandlung führten, wurde der Beschuldigte wiederholt von der Innung und der Handwerkskammer in Ordnungsstrafen genommen, ohne dass diese irgendwie erzieherisch fruchteten.
In den Verhandlungen wurde festgestellt, dass der Beschuldigte in marktschreierischer Weise die Kundschaft auf seine Schleuderpreise aufmerksam machte, An der Schaufensterscheibe stand in großen Buchstaben das Wort „Haarschneidebetrieb” und rechts von dem Ladeneingang in Augenhöhe an der Hausfront mit Oelfarbe ein Preisverzeichnis in der Größe von 65×70 cm mit 9 cm großen Buchstaben die Aufschrift tragend: .
Haarschneiden kurz 20 Pfennig
halblang . . . . 35 Pfennig
Wirbel kurz  35 Pfennig
Kinderhaarschneiden 35 Pfennig
Ein im wesentlichen gleichlautendes Schild war an dem Schaufenster selbst angebracht, außerdem hatte ein Transparent mit der Beschriftung: „Haarschneiden, das gute, schnell und billig”, eine unzweifelhaft irreführende Aufschrift, wenn man sich die minderwertigen Leistungen vor Augen hält, die auf Grund der Beweisführung von dem Beschädigten Geliefert wurden.
Billig – gleich schnell und schlechte Qualität
Ein  halblanger Haarschnitt, der bei normaler, ordnungsgemäßer Ausführung mindestens  20 bis 35 Minuten Arbeitszeit in Anspruch nimmt, wurde in dem betreffenden  „Haarschneidebetrieb” in 8 bis 10 Minuten erledigt. Der Obermeister der  betreffenden Innung, der das Unternehmen des Angeklagten einer Kontrolle  unterzog, hat festgestellt, dass eine Person, die einen halblangen Haarschnitt  ausführen ließ, innerhalb von 9 Minuten wieder auf der Straße war, ferner konnte  der Obermeister beobachten, dass ein anderer Kunde, der sich dort hatte rasieren  lassen, noch mit Seifenschaum am Ohr den Laden verließ.
Über die Qualität der vom Angeklagten ausgeführten Bedienungen geben am  besten einige Zeugenaussagen Auskunft, die wir hier des Interesses wegen  wiedergeben möchten.
Ein Zeuge weiß ausführlich von einem Fall zu berichten,  in dem ein von dem Angeklagten behandelter Arbeiter von seinen Arbeitskollegen  wegen des schlechten Haarschnittes gehänselt worden ist und sich die Mängel von  dem Angeklagten alsbald beheben ließ. Ein anderer Zeuge, ein benachbarter  Friseur, sagte aus, dass ein früherer Kunde von ihm zu ihm gekommen sei und ihn  gebeten habe, einen Nachschnitt vorzunehmen, da ihn der von den Beschuldigten  ausgeführte Haarschnitt entstelle.
Der Zeuge hat bei der Behandlung dieses Kunden noch Haare von dem ersten, bei dem Angeklagten ausgeführten Schnitt in den Ohren gefunden. Der Angeklagte hat also, wie es bei solchen Preisschleudereien typisch ist, Pfuscharbeit geleistet.
Das Ehrengericht musste also zu der Erkenntnis kommen, das die von dem Angeklagten erzielten Leistungen durchweg minderwertig sind und nicht den Anforderungen entsprechen, die die Allgemeinheit an den Friseurberuf stellen muss.
Kontra Allgemeinwohl und auf Kosten des Allgemeinwohl
Wie  existenzvernichtend die Tätigkeit dieses Preisschleuderers auf seine  Berufskollegen wirken musste, zeigten die vom Ehrengericht getroffenen  Feststellungen.
Alle selbständigen Friseure, die in der Nähe des Angeklagten ihr Handwerk  betrieben und die üblichen Preise forderten, hatten unter dem Geschäftsgebaren  des Angeklagten wirtschaftlich sehr zu leiden.
Not zog in die Familien  dieser, ihr Handwerk ehrlich ausübenden, Berufskameraden ein.
Was der Berufsschädling an Überschuß bei seiner eigennützigen Geschäftsmethode erzielte, rief dort durch die eintretende Not manche Träne hervor. So hat ein Zeuge, dessen Vater seit 1899 ein gutgehendes Herrenfriseurgeschäft besaß und ständig einen oder mehrere Gehilfen beschäftigte, sein Geschäft, das dem Angeklagten gegenüberlag, verlegen müssen und wohnt seit 1933 in einer anderen Straße. Die wöchentliche Bruttoeinnahme beträgt nur noch 25 RM„ die Miete allein beläuft sich auf 35 RM. Die Mutter des Zeugen fällt jetzt der Wohlfahrt zur Last.
Ein weiterer Zeuge, 45 Jahre alt, hat in seinem Geschäft, seitdem sich der Angeklagte etwa 150 m von ihm entfernt niederließ, einen derartigen Rückgang verspüren müssen, daß er nur noch eine Durchschnittseinnahme von 47 RM. pro Woche bei 48 RM. Miete erzielt, obwohl er sich früher einen Gehilfen halten konnte. Seinen Lebensunterhalt muss er heute von etwa 9 bis 10 RM. in der Woche bestreiten. Auch er sah sich bereits gezwungen, an die Wohlfahrt um Unterstützung heranzutreten.
Der Begriff Existenzberechtigung des Nächsten galt ihm einen Pfifferling. Sein, Streben, den um ihre Existenz schwer ringenden benachbarten Berufsgenossen die Kunden hinwegzuziehen, wirkte geradezu staubsaugerähnlich. Es freut uns, vorweg bemerken zu können, dass die aus zwei Berufs- und drei Nichtberufs-Richtern (Handwerkern), zusammengesetzte Berufungsinstanz sich die Überzeugung zu eigen machte, dass das deutsche Handwerk, das sich aus Not und Hunger herausarbeiten muss, um wieder Zoll um Zoll festes Land zurückzuerobern, es sich nicht leisten kann, einen unsauberen Sprössling auf Grund eines unlauteren und berufsschädigenden Verhaltens eine Existenz nach der anderen auszuliefern. Es gibt wohl keinen Berufs- und Handwerksgenossen, der sich dieser einfachen Auffassung von der Sachlage verschliefen könnte.
Der Sachverständige
Ganz besondere Beachtung verdienen  auch die Ausführungen des als Sachverständigen hinzugezogenen  Reichsinnungsmeisters R e n z, die wir hiermit im vollen Wortlaut folgen  lassen:
„Die Kenntnis eines Teils der Verhandlungen des Reichsehrengerichtshofes des  deutschen Handwerks- und Gewerbekammertags zwingt mich, im Interesse des von mir  geführten Friseurhandwerks, noch auf folgende, bisher vollkommen unberührt  gelassene kulturelle Punkte des Falles hiermit hinzuweisen. In erster Linie wird  die Frage akut:
„Kann man die Argumentation des Angeklagten bejahen, die  dahinaus zielt, dass er durch seine schnelle und preiswerte Arbeitsmethode nicht  nur kein Schädling für den betroffenen Beruf, sondern sogar im Interesse des  Publikums ein Wohltäter ist?“
In allen Wirtschaftszweigen, in denen es sich bei der Tätigkeit um Bearbeitung toten Materials oder um die Gestaltung toter Materie dreht, kann diese Frage sehr oft bejaht werden, da es ja nicht Aufgabe der Menschen ist, neuere Erkenntnisse der Technik und daraus geborene betriebswirtschaftliche Verbesse¬rungen abzubremsen oder gar zu verneinen.
Bei der Arbeit des Friseurhandwerks dreht es sich in der fraglichen Arbeitssparte aber nicht um die Arbeit an totem Material oder die Gestaltung toter Materie, sondern hier wird der Mensch selbst im wahrsten Sinne des Wortes bearbeitet. Vergleicht man dabei die Entwicklung des Friseurhandwerks, so wird man sehr wohl Fortschritte, begünstigt durch die Technik und die daraus geborenen maschinellen Einrichtungen, erkennen und bejahen müssen.
In den hier vorliegenden Fällen wird ein schnell, flüchtig und schematisch hergestellter Haarschnitt als ungenügend bezeichnet werden müssen und meist einer Verschandelung des menschlichen Kopfes gleichkommen.
Hier ist die Frage zu stellen: Kann man es gutheißen, dass etwa 90 000 selbständige Friseure sich auf der einen Seite bemühen, eine ausgesprochene Qualitätsleistung im Interesse der Kundschaft, des Ansehens desselben und einem guten Geschmack entsprechend, durch fachlich unentwegte Ausbildung zu fördern, und andererseits ein einzelner Berufsfremder unter Außerachtlassung aller aus der Praxis und der Erfahrung sich ergebenden Momente sich über dieselben hinwegseht?
Das Gericht
Die Anklagevertreter hielten im einzelnen  nochmals dem Angeklagten sein berufsschädigendes Verhalten vor Augen und hoben  hervor, dass es nicht Sinn der preispolitischen Verord¬nungen sein kann,  unlautere Geschäftsgebaren zu fördern. Das geht auch eindeutig aus der gesamten  Zielsetzung der Wirtschaftspolitik hervor. Nicht derjenige, der auf Grund von  Machenschaften zu niedrigsten Preisen anbieten kann, ist der vorbildlichste  Wirtschaftler, sondern der, der seine Kalkulation auch auf eine entsprechende  Leistung aufbaut.
Alle Sachverständigen haben in dem Prozess gemerkt, das die Leistungen minderwertig waren. Dabei sei es ganz unerheblich, ob auch einmal dabei ein Haarschnitt als genügend zu bezeichnen sei. Darum kann für die Gesamtheit der Verbraucherschaft die zunächst in die Augen springende Ersparnis an Ausgaben die Geringwertigkeit der Leistung nicht aufheben, im Gegenteil ist auch für die gesamte Volkswirtschaft das geschäftliche Verhalten des Beschuldigten in höchstem Maße unerwünscht.
Er hat alles kaputt gemacht; statt Lebensraum für einen möglichst breiten Teil des Volkes zu lassen, folgte der Angeklagte nur dem Grundsatz: „Eigennutz geht vor Gemeinnutzen!” In schrankenloser Ellenbogenfreiheit zwang er, ohne wertvolle eigene Leistung, seine Berufsgenossen, beiseitezutreten.
Das Urteil 
Es ist gerade durch die neue, auf dem Gebiet des Handwerks  gegebene Gesetzgebung klar zum Ausdruck gebracht, dass jedes ehrliche Handwerk  Lebensraum beanspruchen kann und der Handwerkerstand eine Säule im deutschen  Wirtschaftssystem ist, die nicht aus sich selbst heraus in unverantwortlicher  Weise zum Einsturz gebracht werden darf.
Gleiche Startmöglichkeiten im Konkurrenzkampf, das sei das Ziel, denn nur dem wird die Zukunft gehören, der tüchtig ist. Der Kampf ums tägliche Leben wird hart bleiben, und im Wettbewerb der Leistungen wird nur der Bessere siegen können. Nach wie vor aber müssen Leistung und gesunder Wettbewerb die Voraussetjungen bleiben für die Sicherung einer gesunden Existenz.
Wer fortgesetzt schlechte Leistungen liefert, verstößt gegen die Standesehre und macht sich strafbar.
Die berufsständische Organisation hat über die Leistungen im Interesse der Kundschaft zu wachen.
Die Berufung des Angeklagten wurde abgewiesen, es bleibt demnach bei der Strafe von 500 RM. und den Kosten, die ihm ebenfalls auferlegt wurden.
Möge dieses Urteil -allen im Handwerk, die durch ihr berufsschädliches Verhalten andere Existenzen in Gefahr bringen, zur Warnung dienen.
Gemeinschaftsgeist und Rücksicht auf das Allgemeinwohl müssen im Volks und Berufsleben oberster Grundsatz sein!